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Grosse Worte

Published: 2018

Es gibt Worte, die die Welt verän­dern: Jesus’ Berg­predigt zum Beispiel („Ich aber sage euch, liebt eure Feinde“), Mar­tin Luther Kings Wash­ing­ton­er Predigt“ („I still have a dream“) oder 1987 Ronald Rea­gans Auf­forderung an Michail Gor­batschow in Berlin: Mr. Gor­batschow, tear down this wall!“ Zweiein­halb Jahre später wurde die Mauer friedlich niedergerissen.

Inzwis­chen hat ein bish­er eher ver­schwiegen­er Zirkel die Kraft der Worte ent­deckt: die Zen­tral­banker. Es war im Som­mer 2012: Die Europäis­che Währung­sunion steck­te in der Krise, man musste ihren Zusam­men­bruch befürcht­en, das Finanzsys­tem dro­hte zu kol­la­bieren. Dann kam der Präsi­dent der Europäis­chen Zen­tral­bank, Mario Draghi, und riss auf dem Höhep­unkt der Euro-Krise das Rud­er herum. Mit den Worten: With­in our man­date, the ECB is ready to do what­ev­er it takes to pre­serve the Euro.“ Das sass. Das wirk­te. Sei­ther lei­ht die EZB den Banken fast unbe­gren­zt Geld prak­tisch zum Null­tarif. Die Anleger prof­i­tierten von steigen­den Aktienkursen, die Staat­en sparten bei den Zin­szahlun­gen, das Wirtschaftswach­s­tum machte die Arbeit­splätze der Bürg­er sicher­er und das Ver­mö­gen der Haus­be­sitzer wuchs dank steigen­der Immobilienpreise.

Während der Leitzins für die Noten­banken noch vor 10 bis 20 Jahren das wichtig­ste Instru­ment war, brauchen sie heute zur Steuerung ihrer Geld­poli­tik die soge­nan­nte For­ward Guid­ance. Das heisst: Sie ori­en­tieren die Mark­t­teil­nehmer über ihre mit­tel- bis langfristi­gen Pläne und steuern so die Mark­ter­wartun­gen mit­tels trans­par­enter Kom­mu­nika­tion­spoli­tik bezüglich ihrer Prozesse, Über­legun­gen und Entschei­dun­gen. Für Noten­banken ist Kom­mu­nika­tion der neue Leitzins“ (NZZ, 17.11.2017). Manche, zum Beispiel die britis­che Nation­al­bank, nutzen dafür auch neue Kanäle: Über die Finan­cial Times“ könne man 300000 Leser erre­ichen, wird Mark Car­ney, Gov­er­nor der Bank of Eng­land in der NZZ zitiert; aber über Face­book könne man mit 30 Mil­lio­nen Usern kom­mu­nizieren. Alles dreht sich um das Wort“, an den Bond-Märk­ten gehe es momen­tan mehr um Worte als um Zahlen, stellte die NZZ in ihrer vorgestri­gen Print­aus­gabe fest. 

Wie weit allerd­ings die pros­perierende Entwick­lung der ver­gan­genen Jahre tat­säch­lich auf die ver­bale Geld­poli­tik zurück­zuführen ist, ist umstrit­ten. Geld­poli­tis­ch­er Aktivis­mus ist nicht neu. Aber bish­er hat er sich noch nie aus­bezahlt“, schreibt Kurt Schiltknecht, ehe­ma­liger Chefökonom der Schweiz­er Nation­al­bank (SNB), Anfang Jahr in der Welt­woche“. Der medi­ale Rum­mel um die Geld­poli­tik sei neueren Datums und nicht zwangsläu­fig Aus­druck ein­er besseren Geld­poli­tik. Von der Beach­tung in den Medi­en geblendet“, so Schiltknecht, über­schätzen sich die Noten­bankex­po­nen­ten, wenn sie glauben, mit ihren Aus­sagen die Erwartun­gen der Wirtschaft steuern zu kön­nen.“ Auch die zwei SNB-Ökonomen Thomas Lus­ten­berg­er und Enzo Rossi war­nen in ein­er Studie davor, von Trans­parenz und Kom­mu­nika­tion der Zen­tral­bank zu viel erwarten zu wollen. Sie seien kein all­ge­me­ingültiges Instru­ment zur Verbesserung der Finanz- und Wirtschaft­sprog­nosen. Häu­figere und unko­or­dinierte Kom­mu­nika­tion erhöhe das Kako­fonie-Risiko. Und eine Zen­tral­bank, die so spreche, riskiere, die Stimme ganz zu verlieren.

Verän­derun­gen her­beiführen kann man umso effek­tiv­er, je konkretere Aus­sagen man macht. Je vager die Worte bleiben, desto weniger Ein­fluss üben sie aus, desto weniger ver­mö­gen sie zu steuern. Unter dem Zwang zu konkreten Aus­sagen legt man sich aber auch Fes­seln an. Das birgt die Gefahr, dass zu lange an einem eingeschla­ge­nen Kurs fest­ge­hal­ten wird, um aus Rep­u­ta­tion­s­grün­den den geweck­ten Erwartun­gen gerecht zu wer­den. Wenn dann schliesslich eine Kursän­derung doch unumgänglich wird, wird man wieder mehr an Tat­en als an Worten gemessen.

Auf dieser Grat­wan­derung ent­fal­ten Worte die beab­sichtigte Wirkung nur, wenn die Kom­mu­nika­tion ver­ständlich, glaub­würdig und wohldosiert ist und zum geeigneten Zeit­punkt erfol­gt. Dann hat sie aber dur­chaus die Kraft, die Welt zu verändern.

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