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Reputation im Kleingedruckten

Published: 2018

Kür­zlich bin ich im All­t­ag auf zwei Wer­beak­tio­nen aufmerk­sam gewor­den, deren Wirkung bei mir kaum unter­schiedlich­er sein kön­nte. Zuerst war da das Plakat der Krankenkasse ÖKK, das Fam­i­lien Gratis-Windeln für ein Jahr ver­spricht. Sym­pa­thisch. Einige Tage später lan­dete im Briefkas­ten ein Fly­er von Globus, der für den Online-Shop einen Ken­nen­lern-Gutschein im Wert von 50 Franken ver­spricht. Reak­tion: Kenn ich schon, zuerst mal das Kleinge­druck­te lesen.

Dass Globus da Spir­i­tu­osen und Tabak­waren von der Aktion auss­chliesst, ist ver­ständlich. Man stelle sich vor, wie dem Waren­haus die Rep­u­ta­tion um die Ohren flöge, wenn es gratis Sucht­mit­tel verteilte. Wesentlich war aber der kleine Hin­weis: Kein Min­desteinkauf nötig”. Da war ich doch etwas baff und sehr pos­i­tiv über­rascht, weil ich das Gegen­teil erwartet hat­te. Auch wenn mir klar ist, dass das Anle­gen eines Kun­denkon­tos für Online-Einkäufe auch etwas wert ist.

Beim zweit­en Blick auf das Krankenkassen-Plakat hinge­gen ver­fliegt die Sym­pa­thie. Dass das Ange­bot nur für Neukun­den gilt, ver­wun­dert nicht, das gehört sozusagen zur all­ge­meinen Prax­is. Aber die weit­eren Bedin­gun­gen im Kleinge­druck­ten machen alles zunichte: Um von den Gratis-Windeln zu prof­i­tieren, muss man

- die Grund­ver­sicherung zur ÖKK wech­seln,
- eine Zusatzver­sicherung abschliessen,
- eine zweite Zusatzver­sicherung abschliessen,
- eine dritte Zusatzver­sicherung abschliessen,
- und eine vierte Zusatzver­sicherung abschliessen.

Hinzu kommt die unsägliche Botschaft, dass man 12 Monate Gratis-Windeln erhält, wenn bei­de Eltern­teile und ein Kind zur ÖKK wech­seln. Wenn ein Eltern­teil mit Kind wech­selt, gibt’s nur sechs Monate Windeln. Heisst das, dass Allein­erziehende von vorn­here­in nur zur Hälfte prof­i­tieren kön­nen, obwohl doch genau die häu­fig mehr Unter­stützung gebrauchen kön­nten? Selb­st wenn es nur unglück­lich for­muliert ist: Zu viel Kleinkari­ertes im Kleinge­druck­ten verkehrt eine pos­i­tive Botschaft ins Gegen­teil. Weil der Frust über ent­täuschte Erwartun­gen, die man vorher genährt hat, gröss­er ist, als die eigentliche, pos­i­tive Botschaft sel­ber. Die ÖKK tit­uliert das Ange­bot als unser inno­v­a­tives Geschenk”. Wenn man auch noch sel­ber sagen muss, dass die eigene Aktion gut ist, dann ist sie’s meist nicht. Und mit Blick auf die vie­len Ein­schränkun­gen stinkt das Eigen­lob min­destens so stark wie eine Jahres­ra­tion volle Windeln.

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