
Redaktioneller Inhalt und Werbung: Die Grenze verschwindet
Das SVP-Referendum gegen die Asylgesetzrevision hatte in der Volksabstimmung vom 5. Juni keine Chance. Die SVP hatte dieses Resultat wohl kommen sehen, als sie sich entschied, in diesem Abstimmungskampf auf Inserate und Plakate zu verzichten. Aussichtslos. Begründet wurde der “Inseratenboykott” von Christoph Blocher in der “Schweiz am Sonntag” allerdings damit, dass fast alle Redaktionen parteiisch gegen die Durchsetzungsinitiative gekämpft hätten: “Sollen wir für den Inserateraum zahlen, wenn die Gegner ihre Argumente gratis publizieren können?” Eine Abstrafung missliebiger Presseerzeugnisse also. Ist damit die Unabhängigkeit der Redaktionen und die Trennung von redaktionellem Teil und Werbung wieder einmal in Gefahr? Der Zunder war entfacht.
Öl ins Feuer goss dann BaZ-Verleger und ‑Chefredaktor Markus Somm, als er Anfang April in einem Talk auf “Radio 1″ sagte: “Ich kann nicht erwarten, dass ein Inserent ein Inserat schaltet, wenn ihm die ganze Zeit auf der Nase herumgetanzt wird.” Verleger-Präsident Hanspeter Lebrument leistete Support. Er liess sich in der NZZ am Sonntag so zitieren: “Eine saubere Trennung zwischen dem Werbemarkt und dem redaktionellen Teil einer Zeitung ist viel schwieriger geworden als vor zwanzig Jahren, als es die finanzielle Lage erlaubte, die redaktionelle Unabhängigkeit über alles zu stellen.” Die Debatte zog weite Kreise und war sogar für die “Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ” ein längerer Artikel wert.
Schliesslich brachte der Presserat an der Plenarsitzung vom 24. Mai seine “Missbilligung und sein Unverständnis zum Ausdruck”, dass sich leitende Persönlichkeiten des Verlegerverbandes “Schweizer Medien” zu solchen Aussagen hinreissen liessen, auch wenn die wirtschaftliche Lage derzeit schwierig sei. Die Unabhängigkeit der Redaktion und die deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung seien für die Glaubwürdigkeit der Medien unabdingbar und Grundpfeiler ihrer Daseinsberechtigung. “Diese grundlegenden Prinzipien” in Frage zu stellen, werte er als “gefährliche Entgleisung”.
Eine edle Haltung, aber auch etwas naiv. Die gedruckte Zeitung steht als Werbeplattform längst nicht mehr dominant und erst recht nicht alleine da: Alternative Möglichkeiten geben den Werbekunden mehr Handlungsspielraum. Die Kommerzialisierung der Medienbranche lässt die Medien selbst neue Wege beschreiten, um die Bedürfnisse der werbenden Wirtschaft zu befriedigen. Seit einiger Zeit und vor allem in den Online-Medien ist Native Advertising ein Versuch, Produkte in einem redaktionellen Umfeld zu bewerben. Artikel unter dem Titel “10 ultimative Reisetipps für Ferien mit Flug”, “10 Gründe, warum Schokolade glücklich macht” oder “19 Fan-Artikel für die EM, die kein Mensch (bei Verstand) will” sind von dieser Art. Diese sogenannten Listicles (Artikel in Listenform) wurden zu einer beliebten journalistischen Form starker Verkürzung. Häufig dienen sie als Gefäss für bezahlte Werbebotschaft, lieber weniger denn mehr als solche gekennzeichnet; so etwa bei “BuzzFeed”, “Blick am Abend” oder “Watson”. Die Grenze zwischen redaktionellem Content und Werbung verschwindet. Auch “Finanz und Wirtschaft” bietet Native Advertising an und erklärt dieses Werbeformat in einer Präsentation folgendermassen: “Native Advertising (natürliche Werbung) ist ein visuell im FuW-Content integriertes Werbeformat. Diese Anzeige – einer Publireportage nicht unähnlich – ist nicht auf den ersten Blick als Werbung zu erkennen und gleicht dem vom User gewohnten Inhalt.” “FuW” verspricht denn auch unverblümt, diese kommerzielle Kommunikation erhalte “höchste Aufmerksamkeit dank Integration in den ‘FuW’-Content”.
Interessant wäre eine Stellungnahme des Presserates zu dieser Diskrepanz zwischen seinem Anspruch und der Wirklichkeit im Medienmarkt. Denn die als Anleitung für das individuelle Verhalten (1999!) erlassene “Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten” ist für die strukturelle Erscheinung des Ineinanderfliessens von Werbung und Redaktionellem unzureichend.