
Die Dünnhäutigkeit der Kritisierten
Die Reaktionen der Medienhäuser auf das Jahrbuch zur Schweizer Medienqualität, welches jährlich vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) herausgegeben wird, fielen auch nach der fünften Auflage mehrheitlich empfindlich aus. Das Newsportal watson.ch, das kritisiert wird, Native Advertising entgegen der Berufsnormen vom journalistischen Personal produzieren zu lassen, reagierte mit einem ziemlich absurden Quiz, bei dem der Leser anhand eines aus einem Artikel herausgegriffenen Satzes qualitätshohe von qualitätsniedrigen Medien unterscheiden sollte. Das Netzwerk Newsnet konterte den Kommentar „Wäre Kurt Imhof eine Zeitung, sie hiesse ‚Blick’“. Darin wird kritisiert, dass Imhof über „Allroundjournalisten“ schnöde, sich selber aber in Debatten aller Art einbringe und ein Allroundwissenschaftler sei. Touché! Oder sollte man sich als Medienwissenschaftler nicht damit auseinandersetzen und analysieren, wie und worüber Debatten geführt werden? Wie dem auch sei: Ausführlicher auf die inhaltliche Kritik des Jahrbuches wird etwa in Artikeln von sogenannten Qualitätsmedien wie der NZZ und – wenn auch weniger umfassend – im Tagesanzeiger eingegangen.
Zur Verteidigung der pikierten Medienschaffenden kann man einwenden, dass die Person Kurt Imhof zweifelsohne polarisiert und gelegentlich polemisiert. Er ist in der Kritik auch in seiner Wortwahl keineswegs zimperlich, was die Reaktionen teilweise erklärt. So nennt er Newsrooms „journalistische Verrichtungsboxen“, spricht von einer „Diktatur der Reichweite“ und „qualitätsniedrigem Journalismus“.
Der harsche Ton vermag jedoch den Mangel an Selbstreflexion und inhaltlicher Analyse der kritisierten Medien mit dem Kern der Kritik kaum zu erklären, und eine ernsthafte Debatte zu diesem Thema mit praktikablen Lösungsvorschlägen wäre wünschenswert. Übrigens: in den Gratiszeitungen sucht man bis heute vergebens nach einer Erwähnung der besagten Studie.